- Rathaus+Bürger
- Aktuelles
- Service
- Verwaltung
- Bürgermeister
- Abteilungen
- Mitarbeiterverzeichnis
- Verwaltungsorganisation
- Stadtentwicklung, Städtebauliche Planung, Umwelt+Klima
- Hochbauprojekte, Liegenschaften + Tiefbau
- Brand- /Katastrophenschutz
- Friedhöfe
- Gemeindewerke
- Haushalt + Finanzen
- Ortsgericht + Schiedsamt
- Presse + Öffentlichkeit
- Personalservice
- Sicherheit + Ordnung
- Standesamt
- Steueramt
- Politik
- Leben+Wohnen
- Freizeit+Tourismus
- Wirtschaft+Standort
- Hinweisgebersystem
Blog Stolperstein-App
Das Projekt "Stolperstein-App"

Zwischen 2013 und 2014 wurden in Seeheim-Jugenheim insgesamt 40 Stolpersteine als Zeichen der Erinnerung in das Pflaster gesetzt. Die Gemeinde möchte nun noch einen Schritt weiter gehen und eine Stolperstein-App erstellen, um die Erinnerung auch in einer digitalisierten Form zu bewahren. So könnte man sich etwa übers Handy direkt die Lebensgeschichten erzählen lassen, wenn man über einen der Steine im wahrsten Sinne stolpert und mehr wissen will als den bloßen Namen und die Geburts- und Sterbedaten. Schließlich sind die Stolperstein-Geschichten ein wichtiger Teil unserer Ortsgeschichte.
Als ersten Schritt zur App waren Bürgerinnen und Bürger Ende 2021 dazu eingeladen, die Autoren-Patenschaft für einen Audiobeiträg zu übernehmen. In zwei Projektblöcken wurde 2022 und 2023 daran gearbeitet: Die Teilnehmer haben recherchiert, geschrieben, gesprochen, geschnitten, gemischt – alles wurde komplett selbst produziert. Jetzt soll es mit der App und QR-Code-Stolpersteinen weitergehen.
Kontakt
Suchergebnisse werden geladen
Keine Mitarbeitende gefunden.
Mehr zum Entstehen der Audiobeiträge erzählt Der Blog zum Projekt
Die Texte stammen von Maidon Bader, die die Arbeit an den Audiobeiträgen medienpädagogisch begleitet.

November '21: Auftakt
An einem Abend im späten November kommen wir zum ersten Mal zusammen. Es hat trotz Corona-Auflagen geklappt: Knapp 20 Menschen, die sich für die Stolperstein-Patenschaften interessieren, sitzen im Kreis, Menschen verschiedenen Alters, darunter zwei 15-jährige Schüler, was uns besonders freut. Die meisten sind aus der Region, ein Paar ist tatsächlich aus dem Taunus angereist. Seeheimer Pressemeldung goes Hessenschau und wird bei Insta gepostet. So kommen Pia und Viktor hierher. Klaus Knoche, der die Stolpersteinführungen betreut und sich wie kein anderer mit der Thematik hier vor Ort auskennt, und Sabine Milewski, die bei der Gemeinde Seeheim-Jugenheim für die Erinnerungsarbeit zuständig ist, umreißen die Aufgabe. Wir suchen Menschen, die bereit sind, sich in die Stolperstein-Biographien einzuarbeiten, ein Manuskript zu schreiben und all die Fähigkeiten zu lernen, die man braucht, um einen Audiobeitrag zu machen. Drei Workshop-Wochenenden sind geplant, jedoch ist auch Eigenarbeit zwischen den Blocks gefragt. Wer kann sich das vorstellen?

Januar '22: Die Gruppe formiert sich
Zehn Teilnehmer*innen haben sich verbindlich angemeldet, ein paar der Interessierten wollen das Projekt unterstützend begleiten, wichtig für uns, da wir jetzt in die Materie abtauchen und uns das ganz einnehmen wird. Wer will welche Stolperstein-Biographie bearbeiten? Das ist die Frage in unserem Videochat Ende Januar. Schnell stellt sich heraus, dass es zum Teil ganz persönliche Gründe gibt, sich für die eine oder andere Biographie zu entscheiden. Die Großmutter von Susi zum Beispiel hatte ihr von Emilie Rosenfeld erzählt. Das Bild, wie sie mit ihren Haushaltswaren in den Odenwald ging, um sie dort zu verkaufen, sei ihr im Gedächtnis geblieben, sagt Susi. Oder Inge, die das Haus von Milton und Hedwig Mayer in der Darmstädter Straße 9 aus ihrer Kindheit kennt, dessen Geschichte aber nie erfuhr. Auch die anderen haben herausgefunden, welcher Stolperstein sie besonders interessiert, und es ist klar: 8 Biographien aus den 13 Stolpersteingruppen sollen vertont werden.

März '22: Die Stolpersteinführung
Ende März starten die Stolperstein-Pat*innen zusammen mit einer größeren Gruppe zu einer Ortsbegehung. Eigentlich war die Stolpersteinführung zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar geplant, jetzt wird sie nachgeholt. Es ist bereits warm, ein schöner Frühlingstag. Klaus Knoche führt unsere Gruppe vor die Häuser, in denen die jüdischen Mitbürger*innen lebten. Seine Erzählungen machen es deutlich: Diese Menschen waren Nachbarn, engagierte Bürger*innen, Familien, die ihre Kinder auf die örtliche Schule schickten, fest verankert im Seeheim-Jugenheimer Leben. Und die Menschen, die zusahen, als diese ausgegrenzt, zwangsenteignet, zu Auswanderung gezwungen, deportiert wurden, waren Menschen wie du und ich. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Unser Weg führt auch am Familiengrab von Pfarrer Reith vorbei, der sich ungeachtet der Gefahren für sich und seine Familie gegen das Regime stellte und Juden zur Flucht verhalf. Erinnerungsarbeit. Ja, wir verstehen, wie wichtig das ist. Wir haben uns entschieden, daran mitzuwirken.

April '22: Berührungspunkt
Das erste Workshop-Wochenende ist im Pfarrer-Reith-Haus der Kirchengemeinde. Ein Dutzend Menschen sitzen im Kreis, erwartungsvoll, darunter Maidon Bader, die das Projekt medienpädagogisch begleitet. Alle haben dabei, was sie an Material zu ihrem Stolperstein finden konnten, ausgedruckt auf Papier. Wir machen eine Ausstellung, präsentieren unsere Funde den anderen. Dabei merken wir: Jeder Stolperstein ist anders, die Quellenlage, das Bildmaterial, die Berichte von Zeitzeugen; mal gibt es viel, mal nur wenig, über das sich sprechen lässt. Wo ansetzen? Wie beginnt so eine Erzählung? Maidon gibt den Teilnehmer*innen einen Anhaltspunkt: „Beginnt da, wo die Biographie euch berührt, wo ihr merkt, dass euch warm wird.“ Tief eintauchen geht jetzt nicht. Die Aufnahmegeräte kommen auf den Tisch, kurze Statements aufnehmen, diese danach zusammen anhören. Wie klingt das? Wir klingt deine Stimme? Können wir dem, was du sagst, folgen? Die ersten Aufnahmen sind überraschend gut. Ermutigt und inspiriert packen wir die Aufnahmegeräte ein, die Zettel mit den Hausaufgaben. Das können wir schaffen!

April-Mai '22: Zwischenschritte
Zeitzeuginnen und -zeugen gibt es nur noch wenige. Die Hoffnung ist groß, dass wir trotzdem noch jemanden finden, der uns etwas über die jüdischen Menschen aus unserem Ort erzählen kann. Ausgerüstet mit dem Aufnahmegerät und dem frisch erworbenen technischen Knowhow machen Christa und Inge sich auf den Weg, um Kurt Bröning aus Jugenheim zu interviewen. Sie erhoffen sich Informationen aus erster Hand zu Moritz Abraham. Über diesen Jugenheimer Juden ist fast gar nichts bekannt. Constanze wiederum geht zum Darmstädter Hof in Seeheim. Elfriede Messerschmidt, die Seniorchefin, kannte Manfred Silber, der den Holocaust überlebte und nach dem Krieg wieder in die Gegend zurückkehrte. Die Originaltöne dieser Interviews werden sie zum zweiten Block mitbringen.

Mai '22: In die Tiefe
Nicht alle können am ersten Workshoptag da sein, und einer unserer Youngsters wird gar nicht mehr kommen. Er schafft das nicht neben der Schule her, es ist einfach zuviel. Ja, es war viel: Der Besuch beim Stolperstein, eine Aufnahme der Umgebung machen, ein Foto inszenieren, die erste Manuskriptfassung schreiben. Ums Zuhören geht es an diesem Samstag, was hören wir auf den mitgebrachten Audios? Beschreibe! Nur wer gut zuhören kann, sagt Maidon, entwickelt ein Ohr dafür, auf was es ankommt. Die Redaktionskonferenz tagt, das sind wir alle. Eine Person nach der anderen präsentiert ihr Manuskript, sucht sich andere, die die Parts sprechen, die nicht Erzählparts sind: Zitate aus Briefen und Dokumenten, Ansagen… Es ist ein langer, anstrengender Prozess, der Aufmerksamkeit und Wachheit fordert. Die kollektive Intelligenz ist gefragt, Ideen werden aus den Köpfen geschüttelt. Am Ende der beiden Workshoptage kommen wir uns vor wie nach einem Tauchgang. Doch jetzt hat jede/r einen roten Faden, weiß was zu tun ist. Bleibt nur, die Endfassung des Manuskripts zu schreiben. Und sich um die vielen organisatorischen Dinge zu kümmern wie Musik und Geräusche, Sprecherinnen und Sprecher. Ein bisschen Schneiden- Üben wäre auch nicht schlecht. Die viel zu knappe Erklärzeit während des Workshops, ob das beim nächsten Produktionswochenende so hinhaut?

Mai-Juni '22: Es reicht nicht!
Das Gefühl sagt: Da muss es noch mehr geben, es ist noch nicht alles an Recherchemöglichkeiten ausgeschöpft. Zwei Teilnehmerinnen fahren nach Darmstadt und Wiesbaden in die Archive, verbringen Stunden mit der Akteneinsicht, finden Erstaunliches heraus. Ein Dokument: Wie akribisch Milton und Hedwig Mayer vor ihrer Auswanderung ihr Hab und Gut auflisten mussten! Unterlagen zu einem Prozess: Was Manfred Silber dazu bewegte, in seine Heimat zurückzukehren. Die Fragen der Teilnehmer*innen, ihre Hartnäckigkeit haben sich gelohnt.

Juni '22: Produktion
Die Räume der Jugendförderung in Seeheim sind verwandelt: In drei Zimmern sind Aufnahmeboxen entstanden, sehr rudimentär aus Decken und Stellwänden. Später wird Maidon sagen, der Sound in einem normalen Wohnzimmer sei besser. Doch in diesen Räumen braucht es die Staffage. Es braucht auch den Rückzug, die Konzentration, die in einer solchen Box herrscht, um die langen Erzähltexte zu sprechen. Eine zweite Person sitzt draußen, führt Regie, indem sie aufmerksam zuhört und Rückmeldung gibt. Zeit zum Verschnaufen gibt es nicht an diesem Wochenende. Kaum sind die Wortaufnahmen gemacht, geht es ans Schneiden: Versprecher raus, Takes sauber schneiden, ablegen. Dann in der Montage alles hintereinander hängen, wie funktioniert das mit den verschiedenen Spuren, und wie kriege ich da noch Musik oder Geräusche hinein? Maidon rennt hin und her, aber auch untereinander helfen sich die Teilnehmer*innen, es ist ein Wettrennen mit der Zeit. Am zweiten Tag gibt es ein Dropout wegen Corona-positiv, die Teinehmerin schneidet und montiert allein zu Hause und schickt ihren Beitrag noch rechtzeitig zum internen Abhören. Zwar sind wir nicht pünktlich aber wie durch ein Wunder doch noch alle fertig geworden. Wir hören uns alle Beiträge hintereinander an und sind beeindruckt. Es ist eine Wucht, die Arbeit an diesen Audios und die Audios selbst. Wie können wir jetzt einfach so nach Hause gehen?

September '22: Präsentation
Mitte September präsentieren wir die Stolperstein-Patenschaften zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Entstanden sind 7 Miniaturen von 5 bis 9 Minuten Laufzeit. Der Bürgermeister ist eingeladen, die Presse und ein paar Freunde und Verwandte. Viel Platz ist nicht in der Werkstatt Sonne, aber das eigentliche Publikum wird ja draußen sein, auf der Straße, stolpernd über die Stolpersteine. Beim Aufbau gibts noch Aufregung: Die avisierte Anlage spielt die Audios nicht richtig ab, zu viel Rauschen, Knacken und Brummen. Haben wir so schlecht gearbeitet? Nein, der Sound auf den Studioboxen, Leihgabe aus dem Nachbarort, ist einwandfrei. Wichtiger aber noch ist die Aufmerksamkeit, mit der unsere Zuhörer*innen einen Beitrag nach dem anderen anhören. Es ist schwere Kost, das ist schon klar. Normalerweise würde man, von der App geleitet oder zufällig einen QR-Code scannend, im Ort unterwegs sein, an der frischen Luft, begleitet von den Geräuschen der Straße, dem Geschehen um einen herum. Gehen, stehen, hören. Das alles ist hier nicht. Hier gibt es nur die Geschichten selbst, bar aller Ablenkung. Aus ihnen setzt sich ein Bild zusammen, die individuelle Geschichte vermischt sich mit dem Zeitgeschehen, mit dem kollektiven Erleben.

'23: Zweite Runde
Klar ist: Das Projekt der „Autoren-Patenschaften“ ist noch nicht beendet. Es fehlen noch sechs Stolpersteingruppen, die teils in Seeheim und teils in Jugenheim liegen. Zum Beispiel der Stolperstein des gebürtigen Seeheimers Dr. Arthur Mayer, der nicht nur ein beliebter Arzt, sondern auch Sozialdemokrat und Theaterfreund war. Bevor ihn die Repressalien des NS-Regimes zur Auswanderung zwangen, lebte er mit seiner französischen Frau Marguerite in der Albert-Schweitzer-Straße. Oder die Familie Koppel aus Jugenheim, deren „Pension Sandmühle“ noch zu NS-Zeiten ein wichtiger Anlaufpunkt im jüdischen gesellschaftlichen Leben war. Die Biographien, die es hier zu nachzuempfinden gilt, sind haarsträubend, berührend, erhellend.

Januar '23: Die neue Gruppe
Sprung in die Seeheimer KulturMetzgerei: Hier kommt am 11. Januar eine Gruppe von acht Leuten zusammen. Die Mehrzahl war schon 2022 dabei und will weitermachen, allein oder zu zweit ein weiteres Stolperstein-Audio herstellen. Ein Teilnehmer ist neu und doch sehr vertraut mit der Thematik; er hat an der deutschen Fassung eines Audioguides für die Gedenkstätte Treblinka mitgewirkt und bei einem unserer ersten Beiträge als Sprecher mitgemacht. Schnell fängt die Gruppe Feuer, es entbrennt eine Diskussion über die Vorgehensweise. Wie wollen wir uns zukünftig über den Stoff verständigen? Wie wollen wir zusammen arbeiten? Nach dem ersten emotionalen Austausch kommen wir schnell zu einem Ergebnis: An vier Terminen werden wir als redaktionelles Gremium zusammenkommen, Gelerntes auffrischen, neue Manuskripte entwerfen und umsetzen. Maidon wird den Prozess als Coach begleiten. Sie und Sabine finden: Die Gruppe ist empathisch, sensibel, kompetent. Die besten Voraussetzungen dafür, dass im Juli weitere informative und berührende Stolpersteinaudios „on air“ gehen.

Februar '23: „Und… bitte!“

April '23: Gibberish

Juni '23: Konzentration
